Der schwere Duft von Tinte und altem Papier erfüllte den Raum. Mehrere Karten lagen ausgebreitet auf dem massiven Tisch, dazwischen Notizen, versiegelte Schreiben, geöffnete Berichte. Eine Öllampe brannte ruhig und warf ihr flackerndes Licht auf das ernste Gesicht von Irae, der sich über die Karte eines Grenzgebiets zwischen den südlichen Ausläufern von Shan’A’Dera beugte.
Andraste saß ihm gegenüber, einen Ellenbogen auf der Tischkante, das Kinn auf die Hand gestützt. Sein Blick wanderte zwischen den Markierungen auf dem Pergament und Iraes Miene.
„Du wirkst, als ob du mit den Linien streitest, nicht mit dem Feind“, sagte Andraste trocken.
Irae blinzelte, ließ den Blick von der Karte heben und sah ihn an. „Manchmal frage ich mich, ob die Linien gefährlicher sind. Sie ändern sich, ohne dass jemand sie verschiebt.“
„Oder sie verschwinden ganz.“ Andraste lehnte sich zurück. „Du hast nach mir geschickt. Ich nehme an, nicht für Geographieunterricht.“
„Richtig.“ Irae richtete sich auf, fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. „Ich brauche jemanden. Jemanden, der führen kann, wenn es darauf ankommt. Wenn wir… nicht mehr nur reagieren, sondern handeln müssen.“
Andraste hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. Er kannte Irae gut genug, um zu wissen, dass die Worte bald folgen würden.
„Hol Áinfean [AWN-fjann]. Sag ihr, sie soll sofort kommen.“
Andraste wollte sich gerade erheben, doch Irae hob die Hand. „Nein bleib. Lass sie holen.“
Ein kurzer, wissender Blick zwischen den beiden. Dann nickte Andraste nur knapp.
Wenig später öffnete sich die Tür, und Áinfean trat ein. Ihr Schritt war ruhig, ihre Haltung diszipliniert. Sie verneigte sich knapp.
„Ihr habt mich gerufen, Primus?“
Irae zeigte auf einen freien Platz vor dem Tisch. „Tritt näher.“
Er wartete, bis sie stand, dann legte er die Hand auf ein zusammengerolltes Pergament, das mit einem goldenen Wachssiegel verschlossen war.
„Die Zeit wird knapp. Wir haben ein Jahr vielleicht weniger. Ich will, dass du im kommenden Zyklus die Exsecutoren führst. Du wirst nach Shan’A’Dera aufbrechen.“
Áinfeans Blick blieb ruhig. Sie nickte knapp.
„Deine Aufgabe ist dreifach: Du wirst Shedir finden und beschützen. Du wirst Merenja unterstützen und du wirst dafür sorgen, dass unsere Präsenz dort dem Willen des Ordens entspricht, nicht seinen Erinnerungen. “
Er schob ihr das versiegelte Pergament hinüber.
„Du bekommst, was du brauchst. Aber du wirst entscheiden müssen, wann du gehst und mit wem.“
Ein kurzes Schweigen.
Dann sagte Irae, leise, aber bestimmt: „Wenn die Schatten sich regen, wirst du handeln. “
Áinfean nahm das Pergament entgegen, verneigte sich erneut.
„Verstanden, Primus.“
Als die Tür hinter Áinfean ins Schloss fiel, sagte Andraste leise:
„Du setzt alles auf eine Hand. Aber wenn es eine ist… dann ihre.“
Irae antwortete nicht. Er musste es nicht.
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