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Die letzten Tage… Teil II

Müdigkeit. Müdigkeit, die in die Knochen kriecht und Kälte mit sich bringt. Egal – weiter! Ich muss sie von Valandor, der Bruderschaft und dem Buch wegführen!

Er taumelt, fasst sich und beschleunigt seine Schritte. Der Krieger beginnt, sich die Hände zu reiben. Sie dürfen nicht zu kalt werden – sie müssen in der Lage sein, eine Waffe zu halten. Das Einzige Gute an der Erschöpfung, denkt er, ist, dass ich keinen Hunger mehr habe.

Ein schwaches Lächeln zuckt über sein Gesicht, verzieht sich jedoch schmerzvoll zu einer Grimasse, als es eine Wunde an seiner Wange erreicht. Weiter! Sicherlich sind bereits welche in der Nähe – das vorhin waren nur die Späher. Eine schnelle Selbstdiagnose: ein flacher Schnitt im Gesicht, eine verstauchte Hand, schmerzende Rippen (gebrochen?), dazu zahlreiche blaue Flecken und Blutergüsse. Gar nicht mal so schlecht, denkt er sich, wenn nur diese Müdigkeit und die Kälte nicht wären.

Da! Eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes. Sie sind zu schnell, erkennt der Krieger. Oder bin ich langsamer geworden? Er zieht seine Waffen und schlägt einen Haken in Richtung seines Verfolgers. Dieser stößt einen Schrei aus, den der Dolch des Kriegers in seiner Kehle erstickt. Ohne anzuhalten rennt er weiter und stößt durch zusammengepresste Lippen ein Fluchen in die kalte Luft.

Minuten vergehen, das Brennen in seiner Brust wird schlimmer. Ja, wohl doch gebrochen, denkt er, bevor ihn ein Schatten streift und ein brennender Schmerz einsetzt. Verfluchte Bogenschützen! Als wäre meine Situation nicht schon elend genug. Vorsichtig betastet er den Streifschuss. Die Wunde ist zwar nicht tief, blutet aber stark. Er reißt einen Streifen von seinem zerschlissenen Mantel ab und bindet ihn fest um seinen Kopf. Weitere Pfeile zischen durch den gefrierenden Morgennebel. Mit dem Dolch in der rechten Hand presst er sich mit dem Rücken an einen Baum.

Er atmet tief ein – so tief es ihm die schmerzenden Rippen erlauben – und lauscht. Zunächst hört er nur das Rauschen seines eigenen Blutes, dann, nach einem schmerzhaften Atemzug: ein knackender Zweig. Er dreht sich, den Dolch erhoben, in die Richtung des Geräusches. Ein Schemen ist nur zwanzig Schritte entfernt. Der Krieger wirft den Dolch und wird gleichzeitig herumgerissen, als ihn ein Pfeil in den Arm trifft. Doch sein Wurf trifft – der Verfolger bricht mit einem dumpfen Aufschlag zusammen. Der Krieger treibt seine Beine weiter an, wie von Zwergenmechanik befeuert.

Weiter! Sein Mund füllt sich mit dem scharfen Geschmack nach Metall, die Lungen brennen, das Herz rast. Die Kälte ist vergessen, der Schmerz seiner Wunden tobt wie das Feuer einer Esse. Doch trotz der Hitze in seinem Körper bleibt die Taubheit in den Gliedern, lässt die Beine schwer wie Blei werden und den Kopf benommen.

Ich muss sie wegführen, das Buch schützen. Muss der Bruderschaft Zeit verschaffen. Der Krieger wiederholt es wie ein Mantra, ein stummes Gebet. Durch den Nebel der Erschöpfung bemerkt er, dass er nicht mehr allein rennt. Sie haben ihn eingeholt, sind hinter und neben ihm.

Die Luft brennt in seinen Lungen, das Blut pocht in seinen Adern. Er bemerkt, dass der Wald sich lichtet; der Boden wird sandig, hier und da ragen die letzten Farne, die dem Winter trotzen. Ihm wird klar, dass er seine Verfolger hier nicht mehr abschütteln kann. Raureif bedeckt den Boden und den spärlichen Bewuchs, doch er schwitzt, als ihn die Verfolger einkreisen. Vier, fünf Gestalten, mit einem Dutzend mehr, das bereits aufschließt. Das sollten alle sein, denkt er erleichtert. So viele habe ich von Helfdan weggelockt. Doch diese Erleichterung weicht schnell, als ein Pfeil in seinen Oberschenkel trifft und schmerzhaft entlang des Knochens schabt.

Er hebt sein Schwert, den anderen Arm nutzlos an seiner Seite. Der erste Angriff trifft von hinten, schrammt an seiner Hüfte entlang, doch der Krieger schlägt zurück und trifft den Arm seines Angreifers. Ein Schmerzenslaut ertönt, und der Feind weicht zurück. Der Krieger setzt nach, doch ein weiterer Pfeil trifft ihn – diesmal in den Rücken.

Vor Schmerz brüllend dreht er sich und trennt mit einem Hieb den Arm seines Angreifers ab. Ein roter Schleier legt sich über seine Augen. Ignorierend springt er dem Bogenschützen entgegen, treibt ihm die Klinge in die Brust, bis sie im Brustkorb steckenbleibt. Ein Hammer trifft den Krieger, zerschmettert seinen Arm und reißt ihn von dem leblosen Schützen weg. Entschlossen erhebt er sich noch einmal, sein Körper dampft in der kalten Luft, während das Feuer des Schmerzes in ihm lodert.

Im Dunst seiner eigenen Blutverluste erkennt er, dass seine Verfolger ihn umzingeln. Es hat begonnen zu schneien. Der Krieger hebt den Kopf, sein Blick verschwommen und entrückt.

„So ist es also…“ haucht er, ein dampfender Nebel entweicht aus seinem Mund. Seine Verfolger halten inne – hat ihnen das Augenlicht einen Streich gespielt?

„Vertraut mir, es ist in Ordnung.“ Die Luft um ihn beginnt zu flimmern, der Schnee über ihm verwandelt sich in Regen.

„Das ist mein Geschenk an Euch.“ Der Krieger beginnt zu schwanken, während Flammen aus seinen Wunden züngeln. Die Gestalten um ihn herum sehen sich unsicher an, überfordert.

„Das Schicksal braucht Euch. RETTE SIE!“

Sanftes Licht schien durch die kleinen Fenster und ließ den Raum in einer behaglichen Ruhe erstrahlen. Der Krieger öffnete die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Die Wände aus einfachem Holz, der Geruch von Kräutern und die leise Geräuschkulisse von Schritten und leisen Stimmen verrieten ihm, dass er an einem Ort der Ruhe war – kein feindliches Lager, sondern ein Zuhause.
„Ihr seid wach,“ hörte er eine sanfte Stimme. Eine Frau, die nicht älter als dreißig schien, stand neben dem Bett und hielt eine dampfende Schale in der Hand. Ihre Augen waren von feinen Linien umgeben, die Lebenserfahrung verrieten. „Hier, trinkt das. Es wird helfen.“ Langsam führte sie die Schale an seine Lippen. Der Sud war bitter, doch der Krieger erkannte die heilenden Kräuter im Geschmack.

„Wo… wo bin ich?“ Seine Stimme war brüchig, ein Echo der Schlacht, die er überlebt hatte.
„Auf meinem Hof. Meine Kinder und ich haben Euch im Wald gefunden, bewusstlos und schwer verletzt. Es war ein Glück, dass wir euch gefunden haben – jeder Tag bringt uns dem Winter näher, und die Nächte werden schon kalt.“
Der Krieger nickte schwach, jeder Atemzug erinnerte ihn an die gebrochenen Rippen und die Wunden, die ihn geschunden hatten. Seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern: „Wie… wie lange…?“
„Drei Tage“, antwortete die Frau und richtete den Verband an seinem Arm. „Meine Kinder haben nicht schlecht gestaunt, als ich Euch hierhergebracht habe. Es ist selten, dass wir Besuch haben, vor allem von einem Krieger.“
Ein leises Klopfen an der Tür, und zwei kleine Gesichter schauten neugierig in den Raum. „Mama, darf er mit uns frühstücken?“ fragte das größere der beiden Kinder, ein Junge, kaum mehr als sieben Jahre alt.
„Bald“, lächelte die Frau. „Er braucht noch viel Ruhe. Geh und schau, dass die Hühner nicht weglaufen, ja?“
Das Kind nickte eifrig und verschwand wieder, doch der Krieger bemerkte die glänzenden Augen der Kinder, die voller Neugier und Bewunderung auf ihn gerichtet waren. Sie schienen auf ihn zu achten und brachten ihm kleine Dinge – eine Blume, eine glatte Muschel aus dem Bach oder einfach nur eine kleine Geschichte vom Hof.
Tage vergingen, und die Frau pflegte ihn mit geduldiger Hand, wickelte seine Verbände neu und ließ ihn schluckweise stärkende Brühen trinken. „Ich bin Zarah,“ sagte sie eines Morgens, als sie ihm frisches Wasser brachte. „Und das sind meine Kinder, Aron, Mina und der Kleine hier, Fin.“
Er neigte leicht den Kopf als Antwort. „Ich bin…“
„Ein Reisender mit einer schweren Bürde, vermute ich.“ antwortete sie mit einem leichten Lächeln, das sie zu verbergen versuchte.

Die Tage zogen in einer Ruhe dahin, die der Krieger lange nicht gekannt hatte. Die Kälte wich allmählich aus seinen Knochen, und das Feuer in ihm, das sonst immer flackerte, war hier zu einer sanften Glut geworden. Einmal sah er Aron, den Ältesten, wie er mit einem Stock in der Hand tat, als würde er ein Schwert schwingen.
„Es gibt Dinge, die man beschützen muss, nicht wahr?“ Aron blickte zu ihm auf, als hätte er seine Gedanken gelesen.
„Ja“, antwortete der Krieger, ein schwerer Ernst in seiner Stimme. „Manchmal… sind es die unscheinbaren Dinge, die am wertvollsten sind.“